Baurecht
Mangelhaftes Bauwerk trotz Umsetzung der Baubeschreibung? Anerkannte Regeln der Technik bei der Ausführung
Text: Dominik Krause | Foto (Header): © lichtreflexe – stock.adobe.com
In der Baupraxis stellen Bauherr und Unternehmer häufig zu spät fest, dass sie über wesentliche Details der geschuldeten Bauleistung keine – oder doch nur unzureichende – Vereinbarungen getroffen haben. Für den Unternehmer droht hier eine erhebliche Haftungsfalle und für alle Beteiligten drohen konfliktreiche Situationen. Dieser Beitrag klärt anhand eines neuen Urteils des OLG Celle, wie Baumängel festgestellt werden, welche Rolle anerkannte Regeln der Technik spielen und was es mit der Vereinbarung eines Minderstandards auf sich hat.
Auszug aus:
Informationsdienst Bauleitung
Ausgabe November 2024
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Im Streit stand die Erstellung eines Reitplatzes. Dabei war bereits das Anforderungsniveau des Platzes in Bezug auf die Nutzung und damit die Qualität des zu verwendenden Sandes unklar. Sollte der Platz für den Reitsport dienen oder nur zum Herumführen von Kindern unter Assistenz? Außerdem störte ein Gullydeckel auf dem Areal, der bereits vorhanden war, ggf. aber hätte abgesenkt werden müssen. Leistungsverzeichnis und Auftragsbestätigung verhielten sich zu beiden Fragen nur bedingt bzw. – hinsichtlich des Gullydeckels – gar nicht. Das OLG Celle musste also die Vereinbarung der Parteien auslegen und anhand der gesetzlichen Vorgaben über das Vorliegen eines Mangels entscheiden.
Wie wird ein Baumangel festgestellt?
Das Gesetz enthält eine gestaffelte Regelung dazu, wann ein Mangel der Werkleistung des Unternehmers vorliegt. Danach ist entscheidend, ob das Werk
- die vereinbarte Beschaffenheit hat,
- sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet oder
- ob es sich für die gewöhnliche Verwendung eignet.
In den beiden zuletzt genannten Fällen muss die Bauleistung zudem eine Beschaffenheit aufweisen, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werkes erwarten kann.
Die Parteien eines Bauvertrags können also selbst bestimmen, welche Qualität die zu erbringenden Leistungen haben sollen. Solche Vereinbarungen haben Vorrang. Das heißt, nur dann, wenn es keine Vereinbarung hinsichtlich einer streitigen Anforderung gibt – im Fall des OLG Celle zum einen die Qualität des verwendeten Sandes für den Reitplatz und zum anderen die Einbindung eines vorhandenen Gullys in die Fläche – kommt es darauf an, was für den vertraglich vorausgesetzten oder den gewöhnlichen Verwendungszweck erforderlich ist.
Zu den Qualitäten, die ein Besteller immer erwarten kann, zählt nach der Rechtsprechung insbesondere die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik. Deren Einhaltung sagt der Unternehmer grundsätzlich stillschweigend zu. Die allgemein anerkannten Regeln der Technik sind gewissermaßen der Mindeststandard, den jeder Unternehmer zu berücksichtigen hat. Dies gilt nicht nur für Unternehmer, die Bauleistungen ausführen, sondern auch für (Fach-)Planer.
Grundsätzlich haben Gerichte für jeden Baumangel zu prüfen, ob es hierzu eine Beschaffenheitsvereinbarung gibt. Dem ist auch das OLG Celle gefolgt und hat zunächst die Frage geklärt, welche Anforderungen an den Reitplatz generell zu stellen sind. Denn über die beabsichtigte Nutzung (Reitsport/Herumführen von Kindern) gab es Streit. Für das Gericht ergab dies keinen Unterschied. Verwendungszweck war die Errichtung eines Reitplatzes. Und dieser Zweck bestimmte über die zu erfüllenden baulichen Anforderungen an die Leistungen des Unternehmers.
Da die Vertragsparteien keine besonderen Vereinbarungen zu dem behaupteten Mangel (Sandqualität) getroffen hatten, waren die allgemeinen Anforderungen heranzuziehen, also insbesondere die allgemein anerkannten Regeln der Technik als das, was jeder Besteller erwarten kann.
Ein Sachverständiger hatte die Leistungen vor Ort in Augenschein genommen und anhand der Empfehlungen der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V. für Planung, Bau und Instandhaltung von Reitplätzen festgestellt, dass der verwendete Sand untauglich war. Er war nicht hinreichend trittsicher und trittfest. Aber sind diese Empfehlungen als anerkannte Regeln der Technik zu werten?
Anerkannte Regeln der Technik sind nach der ständigen Rechtsprechung solche technischen Regeln für den Entwurf und die Ausführung baulicher Anlagen, die in der technischen Wissenschaft als theoretisch richtig anerkannt sind und feststehen (Wissenschaftskriterium), in dem Kreis der für die Anwendung der betreffenden Regeln maßgeblichen, nach dem neuesten Erkenntnisstand vorgebildeten Techniker durchweg bekannt (Praxiskriterium) und aufgrund fortdauernder praktischer Erfahrung als technisch geeignet, angemessen und notwendig anerkannt sind (Langzeitbewährung).
Dies können klassische technische Normen sein wie DIN-Normen, einheitliche technische Baubestimmungen (ETB), VDE-Bestimmungen oder VDI-Richtlinien.
Anerkannte Regeln der Technik können sich aber auch aus anderen Quellen ergeben. So sollen – im Einzelfall – auch Empfehlungen von Berufsverbänden und Anweisungen des Herstellers eines Baustoffs oder Bauteils zu berücksichtigen sein. Da die Rechtsprechung keine besondere Form für anerkannte Regeln der Technik verlangt, können auch Regeln, die sich durch Mund-zu-Mund-Propaganda verbreitet haben, relevant sein. Deren Nachweis ist allerdings schwierig.
Das OLG Celle hat hier die Empfehlungen der Forschungsgemeinschaft als anerkannte Regeln der Technik gewertet, nachdem der Sachverständige dargelegt hatte, dass die Empfehlungen für den Reitplatzbau durch zwölf Personen aus Wissenschaft, Labor, Praktikern und Sachverständigen erarbeitet Würden.
LV-konform oder funktional?
Etwas anders war der zweite Mangel zu bewerten – der nicht abgesenkte Gullydeckel. Eine Beschaffenheitsvereinbarung hinsichtlich des Gullydeckels gab es nicht. Eine Absenkung war auch in der Leistungsbeschreibung bzw. den Vertragsunterlagen nicht erwähnt. Der Sachverständige hatte die fehlende Absenkung als eine Gefahr für Pferd und Reiter bewertet („Stolperfalle“).
Das OLG Celle sah auch hierin einen Mangel der Bauleistung.16 Der Unternehmer schulde nicht nur die Umsetzung einer möglicherweise fehlerhaften Leistungsbeschreibung, sondern einen funktionalen Bauerfolg. Widersprächen die geschriebenen Vertragsbestandteile den allgemeinen Regeln der Technik, so sei der Unternehmer dennoch verpflichtet, ein mangelfreies Werk zu erbringen.
Zur vereinbarten Beschaffenheit gehörten alle Eigenschaften des Werkes, die nach der Vereinbarung der Parteien den vertraglich geschuldeten Erfolg herbeiführen sollen. Der vertraglich geschuldete Erfolg bestimme sich dabei aber nicht allein nach der zu seiner Erreichung vereinbarten Leistung oder Ausführungsart, sondern auch danach, welche Funktion das Werk nach dem Willen der Parteien erfüllen solle.
Nach Auffassung des OLG Celle war im konkreten Fall die Errichtung eines Reitplatzes geschuldet. Zur Funktionalität eines solchen gehört auch die gefahrlose Nutzung durch Pferd und Reiter. Diese sei aufgrund der fehlenden Absenkung des Gullydeckels nicht gewährleistet.
Bewertung
Die Entscheidung des OLG Celle ist in der rechtlichen Bewertung im Ergebnis sicherlich zutreffend. Die Begründung lässt allerdings zwei Aspekte unerwähnt, die die Entscheidung ggf. nachvollziehbarer gemacht hätten.
Zum einen geht das OLG Celle nur kurz darauf ein, dass es hinsichtlich des Gullydeckels keine Beschaffenheitsvereinbarung der Vertragsparteien gab. Entsprechend kommt es nach der geschilderten Prüfungsreihenfolge nur darauf an, dass die fehlende Absenkung des bereits vorhandenen Gullydeckels nach objektiven Kriterien – der vertraglichen Verwendungseignung – einen Mangel darstellt. Und dies war den Ausführungen des Sachverständigen hinreichend deutlich zu entnehmen.
Da die Leistung „Gullydeckel absenken“ ggf. nicht in der Leistungsbeschreibung enthalten war, hätte man im Hinblick auf die Frage der Mangelfreiheit auch folgende Erwägung anstellen können: Ein Unternehmer, der eine Leistung zu erbringen hat, hat den Besteller auf Defizite in der Planung oder Ausschreibung hinzuweisen, die zu einer mangelhaften Bauleistung führen werden.
Diese Bedenkenhinweispflicht führt ebenso zur Haftung des Unternehmers für eine mangelhafte Werkleistung wie die fehlerhafte Erbringung der geschuldeten Bauleistungen selbst. Soweit der Unternehmer also im Zuge der Abarbeitung seiner Leistungen feststellt, dass eine Leistung fehlt oder unzureichend beschrieben ist, muss er den Besteller grundsätzlich darauf hinweisen und dessen Entscheidung abwarten.
Erst wenn den Besteller die Entscheidung getroffen hat – hier z. B. dass der Gullydeckel nicht abgesenkt werden soll –, kann der Unternehmer seine Leistungen (unverändert) fortsetzen und muss nicht mehr befürchten, von dem Besteller wegen einer mangelhaften Leistung noch in Anspruch genommen zu werden.
Die Enthaftung des Unternehmers in Form eines Bedenkenhinweises knüpft dabei ebenfalls an die Verpflichtung des Unternehmers an, ein funktional mangelfreies Werk zu errichten. Nur wenn er das ihm Zumutbare getan hat, um ein mangelfreies Werk zu erstellen, bleibt er von der Haftung verschont. Es handelt sich bei der Bedenkenhinweispflicht nicht um einen eigenen Haftungstatbestand. Maßgeblich bleibt der vom Unternehmer geschuldete Erfolg im Sinne einer funktional einwandfreien Bauleistung.
Insoweit hätte das OLG Celle auch darauf abstellen können, dass der Unternehmer im Rahmen der Leistungserbringung einen solchen Bedenkenhinweis nicht erteilt hat. Offensichtlich ist dies in dem Rechtsstreit jedoch weder in der ersten noch in der zweiten Instanz thematisiert worden. Es gab wohl einen entsprechenden Hinweis auch nicht.
Ein Bedenkenhinweis enthaftet den Unternehmer allerdings auch nur dann, wenn er die – in Teilen strengen – Vorgaben der BGH-Rechtsprechung erfüllt. Danach hätte der Unternehmer den Besteller
- rechtzeitig,
- in der gebotenen Form (Dokumentation) und v. a.
- in der gebotenen Klarheit
über den störenden Gullydeckel aufklären und dessen Entscheidung abfordern müssen.
Problematisch ist in der Praxis vor allem der Umfang des zu erteilenden Hinweises. Der Unternehmer muss dem Besteller nicht nur erklären, dass ein Problem vorliegt – hier der Gullydeckel –, sondern v.a., worin das Problem besteht und wie es sich auf die Funktionstauglichkeit der Bauleistung auswirkt.
Der Unternehmer hätte hier also darauf hinweisen müssen, dass der Gullydeckel zu einer Stolperfalle wird, sollte er nicht bearbeitet werden. Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Unternehmer eine Lösungsmöglichkeit aufzeigt oder gar irgendwelche Pläne vorlegt, mit denen das Problem behoben wird. Denn die Art und Weise der Beseitigung des Problems ist grundsätzlich Sache des Bestellers.
Minderstandard vereinbart?
Vom OLG Celle ebenfalls nicht geprüft wurde die Frage, inwieweit die Parteien ggf. eine Beschaffenheitsvereinbarung getroffen haben, die eine Abweichung von den allgemein anerkannten Regeln der Technik und damit den Mindeststandard begründen könnte. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass es den Vertragsparteien freisteht, auch einen Minderstandard zu vereinbaren, also eine Beschaffenheitsvereinbarung dergestalt zu treffen, dass das Bauwerk hinter den anerkannten Regeln der Technik zurückbleibt.
Unklar sind allerdings die genauen Anforderungen, die an eine solche Vereinbarung zu stellen sind. Sicherlich sind die folgenden Voraussetzungen zu erfüllen:
- eindeutige Vereinbarung eines konkreten Leistungssolls,
- Klarstellung, dass es sich um einen Minderstandard handelt, sowie
- Erfüllung der Bedenkenhinweispflicht.
Wie diese Voraussetzungen erfüllt werden können, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab. Insbesondere die letzten beiden Anforderungen sollte der Unternehmer dabei nicht unterschätzen. Es ist i. d. R. eine ausdrückliche Vereinbarung notwendig, die der Unternehmer auch im eigenen Interesse dokumentieren sollte.
Inhaltlich muss sich der auch in diesem Kontext zu erteilende Bedenkenhinweis darauf beziehen, was das Zurückbleiben hinter den anerkannten Regeln der Technik für Auswirkungen auf das Bauvorhaben hat – z. B. in diesem Fall die Gefahren für Mensch und Tier durch die „Stolperfalle“ Gullydeckel.
Die Anforderungen der Rechtsprechung sind hoch. So ist etwa das OLG Düsseldorf der Auffassung, dass der Unternehmer sich – ggf. auch durch ergänzende Rückfragen gegenüber seinem Vertragspartner – davon überzeugen muss, dass der Besteller die Tragweite seiner Hinweise in allen technischen Konsequenzen und in jeder Hinsicht vollständig und zutreffend verstanden hat.
Auch wenn die Figur des Minderstandards in einigen Urteilen thematisiert wird, stellen Fälle, in denen ausnahmsweise kein Mangel angenommen wurde, obwohl die anerkannten Regeln der Technik nicht eingehalten wurden, die Ausnahme dar. Zumeist handelte es sich dabei um Altbausanierungen oder andere Baumaßnahmen im Bestand, bei denen die vorhandene Bausubstanz der Erfüllung der anerkannten Regeln der Technik Grenzen setzt.
Fazit
Die Entscheidung des OLG Celle veranschaulicht noch einmal die Grundsätze, die bei der (rechtlichen) Bestimmung eines Baumangels zu berücksichtigen sind. Dabei wird die Bedeutung der Orientierung des Bauwerkvertragsrechts am Ergebnis (= funktionales Bauwerk) häufig unterschätzt.
Die Vertragsparteien können das Niveau der zu erbringenden Leistungen im Vergleich zur Herstellung („nur“) eines rein funktionalen Bauwerks zwar anheben – oder im Ausnahmefall auch einmal einen Minderstandard vereinbaren. Zumeist gibt es aber für einzelne Leistungsdetails keine Vereinbarung. In diesen Fällen kann die Bestimmung des Leistungssolls anhand der allgemein anerkannten Regeln der Technik durch ein Gericht für manch eine böse Überraschung auf Unternehmerseite sorgen.
Der Gesetzgeber wertet die Anforderungen der Rechtsprechung an die Vereinbarung eines Minderstandards sogar als Hemmschuh für das „einfache Bauen“. Neben einer beabsichtigten Änderung des BGB hat das Ministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen auch einen Leitfaden für die wirksame Vereinbarung eines Minderstandards veröffentlicht, der den Parteien ggf. als Hilfestellung dienen kann.
Von der Frage der Haftung zu trennen ist im Übrigen die Frage nach den vergütungsrechtlichen Folgen. Nach dem vom Gericht mitgeteilten Sachverhalt war die Leistung „Gullydeckel absenken“ im Leistungsverzeichnis nicht vorgesehen. Je nach Gestaltung der Vergütungsvereinbarung kann dies bedeuten, dass der Unternehmer für diese Leistung ggf. noch eine zusätzliche Vergütung verlangen kann (sog. Sowiesokosten).
Der Autor
Dominik Krause ist seit 2003 als Rechtsanwalt in Bremen im Schwerpunkt Immobilien-, Bau- und Architektenrecht tätig. 2022 wurde er zum Notar in Bremen bestellt. Zudem tritt er auch als Herausgeber und Autor zahlreicher Veröffentlichungen in Erscheinung.
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