ORGANISATION & KOMMUNIKATION

Autonome Logistik auf Baustellen: Potenziale und Herausforderungen zur Implementierung cyber-physischer Systeme

Text: Prof. Dr.-Ing. Thomas Kölzer, Prof. Dr.-Ing. Sebastian Pepper | Foto (Header): © shaiq – stock.adobe.com

Logistische Prozesse auf Baustellen erfahren im Zuge der Digitalisierung massive Veränderungen. Bereits heute spielt Building Information Modeling (BIM) in vorgelagerten Planungsprozessen eine immer größere Rolle und wird zunehmend auch für die Bauausführung, z. B. in Form von 4-D-Bauablaufsimulationen, angewandt. Auch können Informationen von existierenden Bauobjekten in entsprechende Modelle eingebaut werden, z. B. bei digitalen Zwillingen. Aufgrund der immer weiter voranschreitenden Entwicklung und Einbindung von Robotern auf Baustellen sowie den damit einhergehenden Potenzialen der künstlichen Intelligenz stellt sich aufbauend auf diesen Phänomenen die Frage nach automatisierten Logistikvorgängen auf Baustellen.

Auszug aus:

Informationsdienst Bauleitung
Ausgabe Oktober 2024
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Logistikprozesse auf Baustellen werden vielfach mit Lkw-Anfahrten, mit der Lieferung von Transportbeton oder aber auch in Bezug auf die vielen Beförderungsvorgänge von Bauelementen vor Ort, z. B. durch Kräne, in Verbindung gebracht.

Den Ausgangspunkt bildet dabei die Arbeitsvorbereitung bzw. die baubetriebliche Produktionsplanung, die vor und während der eigentlichen Bautätigkeiten die jeweiligen Bauprozesse vorbereitet und unterstützt. Ein wesentlicher Handlungsbereich ist dabei die Planung der Baustelleneinrichtung, aber auch die Antizipation von Baustellenver- und -entsorgungen sowie die der Logistik. Eine realitätsnahe Planung ist zwar im Hinblick auf eine wirtschaftliche Umsetzung von großer Bedeutung, jedoch aufgrund einer zumeist knapp bemessenen Planungs- und Bauzeit nur in Ausnahmefällen gut umsetzbar.

 

Status quo zur Baustellenlogistik: Herausforderungen und Innovationen

Betrachtet man Transportvorgänge auf Baustellen etwas genauer, stellt man fest, dass viele logistische Abläufe, z. B. Werkzeugtransporte, Materialflüsse oder kleinteilige Elementbewegungen, häufig auf kurzen Wegen durch die Fachkräfte vor Ort umgesetzt werden. Diese im Gesamtkontext zu bewertenden kleingliedrigen Prozesse finden sich nicht auf der Agenda der Arbeitsvorbereitung, da Vorhersagen kleiner Wege einerseits keiner Kosten-Nutzen-Analyse standhalten würden und weiterhin aufgrund von Änderungen ohnehin nur bedingt planbar sind.

Daher wird bei diesen oft unikalen und meist nur bidirektionalen Vorgängen auf die Expertise von Baufachkräften zurückgegriffen. Sinnvolle bzw. nachvollziehbare und auch transparente Entscheidungen basieren hier auf der Nutzung von Wissen, welches wiederum subjektbezogen betrachtet werden muss.

Andernfalls könnten viele Vorgänge entweder zu lange dauern oder aufgrund einer fehlenden Vorschau sogar zu Fehltransporten führen. Für die vielen ungeplanten bzw. nicht vorhersehbaren Prozesse auf Baustellen stellen nun intelligent agierende Maschinen innovative bzw. zukunftsweisende Potenziale bereit. Diese werden im vorliegenden Beitrag durch das Aufgreifen von digitalen Zwillingen in Kombination mit Aspekten der Baurobotik bzw. mit Fokus auf autonome Baustellen als cyber-physische Systeme überblickhaft skizziert.

 

Potenziale digitaler Modelle in Kombination mit Computer Vision

Im Hinblick auf eine lückenlose Baustellenlogistik sind branchenspezifische Herausforderungen, z. B. Standortgebundenheit bzw. wechselnde Produktionsstätten, aber auch Witterungsbedingungen, Einzelfertigungen oder das Ressourcenmanagement sowie die eingeschränkten Transportmöglichkeiten, stets übergeordnet zu berücksichtigen. Darüber hinaus erschweren die meist sehr komplex miteinander verwobenen Abhängigkeiten der verschiedenen Aufgabenfelder der Arbeitsvorbereitung eine passgenaue Planung der logistischen Prozesse.

Auch der Informationsbruch zwischen Planung und Ausführung bzw. die relativ späte Einbindung von Bauunternehmen führt im Kontext eines gewünschten durchgängigen und ineinandergreifenden Ablaufs von Logistikprozessen vor Ort zu weiteren Problemen.

Da alle notwendigen Faktoren jedoch im Vorfeld nicht vollumfänglich berücksichtigt werden können, helfen digitale bzw. innovative Konzepte bei einer realitätsnäheren und kooperativen Planung bzw. Umsetzung. Bereits seit einigen Jahren finden RFID-Tags Anwendung im Bauwesen, insbesondere, wenn es um die Ortung von Fertigteilen geht. Diese Methode ermöglicht es – einfach ausgedrückt – zu wissen, welche Elemente bereits vorhanden sind und welche noch fehlen.

Durch Weiterentwicklungen im Bereich von Kameras und Scannern bietet sich jedoch eine weitere vielversprechende Option an, die für baulogistische Prozesse genutzt werden kann: Die Computer Vision, bei der Vorgänge vor Ort nicht nur festgehalten bzw. aufgezeichnet werden können, liefert durch die Möglichkeiten der Objekterkennung die Chance, komplexe Prozesse auf Baustellen in Echtzeit zu verfolgen und auch analysieren zu können. In Bezug auf die meist nur begrenzt vorhandenen Bauflächen kann hier als Beispiel die Umsetzung mithilfe von Aufnahmen genannt werden, bei denen auf Basis von 3-D-Modelldaten Bereiche besser zugeordnet werden können – auch während der Ausführungsphase (Koulakis et al. 2024: 214). Die Potenziale sind in diesem Anwendungsfeld sehr groß, insbesondere im Hinblick auf Unabwägbarkeiten.

Wie hier angedeutet, bilden Technologien, wie RFID oder Computer Vision, die Basis für digitale bzw. autonome Baustellen. Ein weiterer wichtiger Baustein ist zudem die bereits erwähnte Kombination mit einem zentralen digitalen Modell, bei dem alle Informationen abrufbar sind.

Anwendungsfälle bezüglich Baustellenlogistik beschränken sich derzeit zumeist noch auf Bauablaufsimulationen, die überwiegend bauteilorientierte Vorgänge beinhalten. Dabei können auch Baubehelfe integriert werden, sodass u. a. Engpässe, Kollisionen oder auch Fehler, die bei einer papierbasierten Planung nicht ersichtlich geworden sind, frühzeitig erkannt werden. Darüber hinaus bieten sich dreidimensionale Modelle auch zur Evaluierung und Validierung für nachfolgende Projekte an.

Bereits im Jahr 2018 wurde bei einer Befragung von Experten aus dem Bereich der Baulogistik die Thematik BIM noch als innovativer und zukunftsweisender Ansatz genannt (Simbeck & Bühler 2018: 190). Bereits wenige Jahre später weist die Verknüpfung logistischer Prozesse mit dreidimensionalen Modellen erheblich Potenziale auf. Dies betrifft einerseits die reine Aneinanderreihung technischer Abläufe (z. B. Auslastungen von Maschinen,
u. a. Kräne oder Tiefbaumaschinen), aber auch die weniger gut planbaren menschlichen Abläufe (z. B. die Personaleinsatzplanung).

Stolipin et al. (2020) beschreiben in Bezug auf baulogistische Prozesse eine in BIM-Modellen implementierte Ontologie, um Simulationen auch für umfangreichere Planungen größerer Baustellen nutzen zu können (ebd., S. 372). Denkt man im Zuge der Digitalisierung die hier angedeuteten Szenarien nun weiter, wird schnell ersichtlich, dass logistische Bauabläufe – zu denen ebenso die zuvor erwähnten kleineren Prozesse gehören – auf Basis von BIM-Modellen auch mit Robotern weiterentwickelt werden können.

 

Baurobotik für logistische Prozesse auf Baustellen

In der Baubranche ist der vierbeinige Roboterhund Spot des amerikanischen Unternehmens Boston Dynamics wohl einer der bekanntesten Vertreter, wenn es um den Einsatz von Robotern auf Baustellen geht (Boston Dynamics 2024). Mit seinen vier Beinen kann er nicht nur sehr gut über unebenes Gelände laufen, auch sind die Potenziale des Einsatzes in gefährlichen Umgebungen schnell ersichtlich. Aktuell wird der Laufroboter in erster Linie für das Scannen von Baustellenumgebungen herangezogen, um z. B. Baufortschritte festzuhalten.

Auch wenn entsprechende Roboter bisher nur bedingt für Transportprozesse verwendet wurden, so sind die Möglichkeiten für solche Vorgänge auf Baustellen durchaus antizipierbar. Das Transportieren in sich immer wieder verändernden Umgebungen ist zudem für humanoide Roboter denkbar. Hier kann der Roboter Atlas genannt werden, ebenfalls von Boston Dynamics.

Auch wenn humanoide Maschinen beim ersten Hinsehen für Transportvorgänge im Vergleich zu vierbeinigen Robotern weniger geeignet scheinen, so zeigt ein Video des Unternehmens, dass auch hier Potenziale vorhanden sind: Der übermenschengroße Atlas baut sich seinen eigenen Weg, um eine Tasche in einer simulierten Baustellenumgebung auf ein Gerüst zu transportieren. Auch wenn diese Prozesse noch programmiert sein mögen, so wird die Nutzung solcher Roboter auf Baustellen ebenfalls ersichtlich.

Als weiteres Beispiel für die Baurobotik im Hinblick auf Transportprozesse sind auch Drohnen zu nennen. Hierbei kann die Eignung für das Bauwesen aus Zustellversuchen für Pakete abgeleitet werden. Selbst wenn Transporte von größeren Lasten bisher nicht durchführbar sind, so ist es für kleingliedrige Abläufe dennoch hilfreich, wenn auch leichtere Elemente auf direktem Weg zum gewünschten Ort geflogen werden sollen.

Bringt man verschiedene Roboter nun gedanklich zusammen, so spricht man von cyber-physischen Systemen, ähnlich dem meist eher bekannten Internet of Things.

Dass entsprechende Systeme zukünftig auch im Bauwesen vermehrt genutzt werden können, hat einerseits mit der stetigen Weiterentwicklung von Robotern zu tun, andererseits aber auch mit den Fortschritten im Bereich der Maschinenintelligenz. Um das volle Potenzial für autonome Baustellen ausschöpfen zu können, ist es daher wichtig, dass Kommunikationsvorgänge zwischen einzelnen Robotern bestenfalls ohne menschliches Eingreifen stattfinden.

 

Potenziale der Maschinenintelligenz für cyber-physische Systeme

Nicht erst seit Bereitstellung der Anwendung ChatGPT am 30.11.2022 finden sich vermehrt Ideen zum Einsatz künstlich intelligenter Ansätze im Bauwesen. Neben dem für die Planungsprozesse relevanten Generative Design ergeben sich für Ausführungsprozesse in erster Linie Potenziale für die komplexen Vorgänge vor Ort. Die Baustellenlogistik kann hier sogar als zentraler Bereich angesehen werden, da – wie zuvor angedeutet – viele Abläufe nicht vorhersehbar sind.

Die Maschinenintelligenz liefert hier einen wichtigen Aspekt, denn ohne das Reagieren auf Unvorhersehbarkeiten wäre der Einsatz von Robotern in sich immer wieder verändernden Umgebungen obsolet. Ohne ausreichende Daten und deren Verknüpfung untereinander wäre kein wirklicher Mehrwert vorhanden. Da aktuell jedoch im Bereich der Data Science in Kombination mit Maschinenintelligenz intensiv geforscht wird, kann auch für Logistikprozesse auf Baustellen antizipiert werden, dass eine Zunahme von Robotern zu erwarten ist.

Die Annahme, dass Roboter in Zukunft mehr Einsatz finden, ist jedoch noch nicht das Ende der Möglichkeiten: Insbesondere die Vernetzung von Maschinen untereinander liefert im Hinblick auf autonome Logistikprozesse auf Baustellen einen erheblichen Mehrwert. Dies wird nicht nur durch den Einsatz von Baurobotern für kleinere und aufeinander abgestimmte Transportwege ersichtlich, sondern insbesondere auch im Kontext vollautomatischer Abläufe auf Baustellen.

Die Verknüpfung von Maschinen untereinander stellt daher einen zentralen Bestandteil für die Umsetzung in der Praxis dar. So werden nicht nur Informationsverluste und Fehleranfälligkeiten reduziert, auch hilft die Kombination aus verschiedenen Baurobotern dabei, die oben genannten rein bidirektionalen Kommunikations- und Logistikprozesse auf ein neues Niveau zu heben.

Dafür ist ein maschinenlesbares System notwendig, was wiederum im Kontext digitaler Zwillinge zu transparenten, echtzeitnahen und damit frühzeitig nachvollziehbaren Vorgängen führt. Die Implementierung cyber-physischer Systeme wurde von Experten der Baulogistik in Bezug auf digitale Geschäftsprozesse bereits im Jahr 2018 antizipiert (Simbeck & Bühler 2018:192). Da sich in den vergangenen Jahren viel im Bereich der Baurobotik und der Maschinenintelligenz getan hat, sind „vollständig digitalisierte Systeme“ (ebd. S.196) mit autonomen logistischen Prozessen auf Baustellen denkbar.

 

Fazit

Bereits heute kann mithilfe digitaler Modelle eine hohe Planungsqualität erreicht werden – auch für große und komplexe Bauvorhaben. Da viele logistische Prozesse vor Ort von unvorhersehbaren Rahmenbedingen geprägt sind, ist nicht nur die weitere Implementierung digitaler Modelle für die Steuerung entsprechender Abläufe äußerst sinnvoll, auch sollten Potenziale der Maschinenintelligenz im Hinblick auf cyber-physische bzw. autonome Systeme stets berücksichtigt werden.

Die mit technologiezentrierten Abläufen einhergehenden Vorteile finden sich nicht nur in Bezug auf Wirtschaftlichkeit, Ausführungsqualität und Sicherheitsaspekten, sondern insbesondere auch im Kontext des aktuellen Fachkräftemangels. Die zentralen Herausforderungen liegen in erster Linie in der Kumulation baustellenspezifischer bzw. transportlogistischer Daten. Ohne maschinenlesbare Informationen können automatisierte Prozesse nur langsam verstetigt bzw. implementiert werden (Wildemann 2024: 279). Ein Fokus darf daher nicht nur auf der reinen Weiterentwicklung von Robotern liegen, wichtig ist auch, dass die vor Ort stattfindenden und meist unvorhersehbaren Abläufe durch übergeordnete bzw. frühzeitig durchdachte Konzepte berücksichtigt werden.

Literatur
Boston Dynamics (2024): Spot – The Agile Mobile Robot. URL: https://bostondynamics.com/products/spot/ (26.07.2024)

Koulakis, M. et al. (2024): Bildbasierte Baufortschrittsüberwachung. In: Künstliche Intelligenz im Bauwesen (Hrsg. Hagsheno et al.). DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-42796-2_12

Simbeck, K./Bühler, M. (2018): Digitalisierung in der Baulogistik. In: Marktorientiertes Produkt- und Produktionsmanagement in digitalen Umwelten (Hrsg. Khare et al.). DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-21637-5_14

Stolipin, J./Jessen, U./Weber, J./Wenzel, S. & König, M. (2020): Simulation als Bestandteil eines BIM-basierten Vorgehens zur Planung der Baustellenlogistik im Großanlagenbau. In: ARGESIM Report 59 (ISBN 978-3-901608-93-3), S. 365-372, DOI: 10.11128/arep.59.a59051

Wildemann, P. R./Kirner, L. & Brell-Cokcan, S. (2024): Eine Domänen-Ontologie für die Transportbeton-Lieferkette. In: Künstliche Intelligenz im Bauwesen (Hrsg. Hagsheno et al.). DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-42796-2_16

Die Autoren

Prof. Dr.-Ing. Thomas Kölzer lehrt und forscht im Fachgebiet Baukonstruktion und CAE an der Berliner Hochschule für Technik (BHT). Seine Themenschwerpunkte finden sich insbesondere in den Bereichen Nachhaltigkeit, Informatisierung und Digitalisierung im Bauwesen wieder.

Prof. Dr.-Ing. Sebastian Pepper studierte Wirtschaftsingenieurwesen mit Fachrichtung Bauwesen an der TU-Berlin. Zwischen 2009 und 2022 arbeitete er in der Projektsteuerung, war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU-Berlin und hatte eine Gastprofessur an der HWR-Berlin. Seit 2022 ist er Professor für Baumanagement und Baubetrieb an der BHT-Berlin.

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